« zurück «

Geheime Kriege
Kolumne von Mumia Abu-Jamal


Während diese Kolumne geschrieben wird, zerreißt das Geheul abgeworfener Bomben den nächtlichen Himmel über Kabul, der Hauptstadt der vom Krieg zerstörten Nation Afghanistan. Erneut fällt das amerikanische Empire in martialischer Schlachtordnung in den Mittleren Osten ein.

Auch wenn landesweite Meinungsumfragen versichern, dieser Krieg gegen "Terroristen und all jene, die sie unterstützen", werde von der Bevölkerung gebilligt, verdeckt die große Zahl von Umfragen die sehr reale und sehr tiefe Angst vor dem in Aussicht gestellten Sieg. Dieser Furcht liegt ein großes Mißtrauen zugrunde, das Amerikaner historisch gesehen immer wieder gegenüber der Regierung empfunden haben: Was wird ihnen verschwiegen? Was wird ihnen vorenthalten? Wo wird das alles enden? Es gibt in Wahrheit gute Gründe für diese Besorgnis, weil viele Amerikaner ohne ihr Wissen und ohne ihre Zustimmung in die geheimen Kriege verwickelt werden, die rund um den Globus wüten.

Als die Vereinigten Staaten noch eine sehr junge Nation waren und noch in den Kinderschuhen steckten, heckte ein im ganzen Land gut bekannter Regierungschef ein geheimes Komplott aus, das zum Ziel hatte, in Libyen einzumarschieren und die dortige Regierung zu stürzen. Einer seiner Agenten wurde mit Zehntausenden Dollars und tausend Gewehren ausgestattet, um eine Geheimarmee gegen Libyen aufzubauen. Dieser Beamte des US-Außenministeriums wurde der Marine unterstellt und er erhielt den Titel "Bevollmächtigter der Flotte der Vereinigten Staaten im Mittelmeerraum". Dieser Geheimagent, der ohne Wissen und ohne Zustimmung des US-Kongresses arbeitete, ging nach Ägypten, organisierte eine Söldnerarmee und führte Krieg gegen Libyen, war aber nicht imstande, die dortige Regierung zu destabilisieren.

Der Agent im Regierungsauftrag war Captain William Eaton. Er handelte auf Geheimbefehl des damaligen US-Präsidenten Thomas Jefferson, mit dem er am 10. Dezember 1803 eine verdeckte Unterredung hatte.

Die amerikanische Geschichte ist gespickt mit diesen geheimen Kriegen und hat den USA Millionen von Feinden auf verschiedenen Kontinenten beschert. Die Armen in Lateinamerika, in der Karibik, in Afrika und Teilen von Asien sehen die Macht der Vereinigten Staaten, sie sehen aber gleichzeitig, daß das Empire wie ein schizophrenes Kind handelt. Völlig willkürlich werden Staatschefs beseitigt, Agenten eingeschleust, die Chaos schaffen sollen und mit der Medienmaschinerie verwerfliche Propagandakriege gegen andere Länder geführt.

Wenn wir es hier angeblich mit einer Demokratie zu tun haben, warum gibt es dann überhaupt die Notwendigkeit für solche geheim geführten Kriege?

Wie kann eine Nation, die für sich beansprucht, die Interessen des Volkes zu vertreten, geheime Kriege führen? Das eine schließt das andere aus, denn wenn die Regierung "des Volkes" ist, wie Abraham Lincoln es mit seinen berühmten Worten gesagt hat, wie kann diese Regierung dann Geheimnisse vor sich selber hüten?

Während die Medien die öffentliche Meinung manipulieren, um das Führen geheimer Kriege zu rechtfertigen, sind ihre wahren Nutznießer und ihre wirklichen Ursachen tatsächlich kaum bekannt. Die Ursachen sind zumeist ökonomischer Natur: Während die Bürger und Soldaten Fahnen schwenken, schwenken die Konzerne mit ihren Brieftaschen.

Man findet zum Beispiel heute noch genug Leute in der älteren Generation, die erzählen, das der Zweite Weltkrieg gegen Hitler und die Nazi-Ideologie geführt wurde. Kaum jemand widerspricht dieser Ansicht, weil nur wenige in den USA wissen, daß US-Konzerne Geschäfte mit den Nazis machten, sogar noch während des Krieges. Charles Higham schrieb 1984 in seinem Buch "Trading With the Enemy":

"Was wäre passiert, wenn Millionen von Amerikanern und Engländern, die sich mit Lebensmittelkarten durchschlugen und vor Tankstellen Schlange stehen mußten, 1942 erfahren hätten, daß die zum Rockefeller-Empire gehörende Standard Oil (ESSO), New Jersey, den Feind über die neutrale Schweiz mit Treibstoff der Alliierten versorgte? Man stelle sich vor, die Öffentlichkeit hätte davon gewußt, daß die Chase Bank mit Wissen ihres Vorstandes (u.a. die Rockefellers) nach Pearl Harbor im von den Nazis besetzten Frankreich millionenschwere Geschäfte mit dem Feind abwickelte. Oder daß Ford an die deutschen Besatzungstruppen in Frankreich Lastwagen lieferte, abgesegnet von der Zentrale in Dearborn, Michigan. Oder daß Colonel Sosthenes Behn, Chef des internationalen Telefon-Konglomerats, das hinter dem US-Multi ITT steht, von New York über Madrid nach Bern flog, um Hitler dabei zu helfen, seine Telekommunikationssysteme zu verbessern, und Ausrüstung für die V2-Flugkörper zu liefern, mit denen London verwüstet wurde. Oder daß ITT die Focke-Wulf-Maschinen mitbaute, von denen aus Bomben auf britische und amerikanische Truppen abgeworfen wurden. Oder daß mit stiller Duldung durch den Vizepräsidenten der US-Kontrollbehörde für die Kriegsproduktion und in Partnerschaft mit dem Cousin von Herman Goering in Philadelphia so wichtige Waren wie Kugellager an Kunden in Lateinamerika geliefert wurden, die direkte Verbindung zu den Nazis hatten, während die amerikanischen Streitkäfte verzweifelt den Mangel an diesen Ersatzteilen beklagten. Und daß man in Washington von solchen Geschäften Kenntnis hatte und sie entweder absegnete oder bewußt ignorierte."

Es gibt offensichtlich verschiedene Arten von Kriegen. Unglücklicherweise gibt es auch geheime Kriege, und jene, die auf den Schlachtfeldern kämpfen oder die Fahnen schwenken, sind die Letzten, die erfahren, worum es wirklich geht.

Übersetzung: Jürgen Heiser Erschienen in der Berliner Tageszeitung junge Welt